Wann ein Insektenstich zum Arbeitsunfall wird

21.04.2014

Ein Mann war während der Arbeit von einer Wespe gestochen worden, worauf er einen anaphylaktischen Schock erlitt und verstarb. Da die Allgemeine Unfallversicherungs-Anstalt (AUVA) in dem Wespenstich keine betriebsbedingte Gefahrenerhöhung sah, lehnte sie die von der Tochter des Verstorbenen geforderten Hinterbliebenen-Leistungen ab. Ob im genannten Fall ein Arbeitsunfall vorlag und deswegen ein Anspruch der Hinterbliebenen auf entsprechende Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung besteht, wurde letztendlich vom Obersten Gerichtshof entschieden.

Ein Mann arbeitete in einem Malereibetrieb als Gerüster. Er befand sich gerade auf dem Betriebsgelände, um diverse Sachen herzurichten beziehungsweise ein Gerüst zusammenzustellen. Dabei stach ihn eine Wespe. Er lief in die Werkstätte, wo er aufgrund eines anaphylaktischen Schocks zusammenbrach und verstarb.

Seine Tochter beantragte daraufhin bei der Allgemeinen Unfallversicherungs-Anstalt (AUVA) im Rahmen der gesetzlichen Unfallversicherung eine Waisenrente und Ersatz für die Bestattungskosten. Die AUVA lehnte jedoch den Leistungsanspruch unter anderem damit ab, dass nur im Fall einer gegenüber der Allgemeinbevölkerung erhöhten Gefährdung eine Zurechnung zur gesetzlichen Unfallversicherung begründbar wäre.

Keine erhöhte Gefährdung notwendig

Das von der Tochter angerufene Erstgericht erachtete die Ablehnung der AUVA als korrekt. Ein Wespenstich sei kein Unfall. Die Körperschädigung sei durch die spezifische körperliche Konstitution und nicht durch den Wespenstich eingetreten. Der Tod habe eine rein innere Ursache, nämlich die Allergie gegen Wespengift. Der Mann sei nur jenen Gefahren ausgesetzt gewesen, denen jeder Mensch im alltäglichen Leben im Frühling und Sommer ausgesetzt sei. Ein besonders gefahrenerhöhendes Moment sei durch die berufliche Tätigkeit nicht eingetreten.

Das Berufungsgericht bezog einen anderen Standpunkt und kam zu dem Schluss, dass das Klagebegehren der Tochter dem Grunde nach zu Recht bestehe. Der Wespenstich sei ein Unfall gewesen, habe er doch von außen auf den Mann eingewirkt und zu einer Körperschädigung geführt. Paragraf 175 ASVG (Allgemeines Sozialversicherungs-Gesetz) stelle nicht auf das Vorliegen einer Betriebsgefahr ab. Eine erhöhte Gefährdung sei bei einem Unfall im Zuge der Erbringung der Arbeit nicht erforderlich.

Die Tochter habe Anspruch auf Hinterbliebenen-Leistungen, insbesondere auf eine Waisenrente. Die Rechtssache sei aber nicht zur Gänze spruchreif, weil zu den Anspruchsgrundlagen des begehrten Teilersatzes der Bestattungskosten bislang noch nichts vorgetragen oder festgestellt worden sei. Letztendlich landete der Gerichtsfall vor dem Obersten Gerichtshof (OGH).

Insektenstich erfüllt Unfallbegriff

„Gemäß Paragraf 175 Absatz 1 ASVG sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten, die sich im örtlichen, zeitlichen und ursächlichen Zusammenhang mit der die Versicherung begründenden Beschäftigung ereignen. Entgegen der Ansicht der beklagten Partei ist ein Arbeitsunfall des verstorbenen Vaters der Klägerin zu bejahen“, so der OGH in seiner Entscheidung (Geschäftszahl 10 ObS 93/13v).

Die Richter verwiesen auch auf eine frühere OGH-Entscheidung (Geschäftszahl 10 ObS 71/04w): Ein Insektenstich während der Arbeit könne einen Arbeitsunfall darstellen, wenn durch die Einwirkung eine Gesundheitsbeschädigung hervorgerufen wird. „Unfälle im Sinn des § 175 Absatz 1 ASVG sind zeitlich begrenzte Ereignisse – eine Einwirkung von außen, ein abweichendes Verhalten, eine außergewöhnliche Belastung –, die zu einer Körperschädigung führen“, so der OGH weiter.

Das Berufungsgericht sei zutreffend davon ausgegangen, dass ein Wespenstich diesen Unfallbegriff erfüllt und der Versicherte einen Unfall erlitten habe. Für die Qualifikation eines Unfalls als Arbeitsunfall sei in der Regel Folgendes erforderlich: Die Verrichtung des Versicherten ist zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen; diese Verrichtung hat zu dem Unfallereignis geführt; das Unfallereignis hat einen Gesundheitsschaden oder den Tod des Versicherten verursacht.

Nicht nur betriebsbedingte Risiken sind versichert

Der Annahme eines Arbeitsunfalls stehe nicht entgegen, dass ein Insektenstich grundsätzlich jederzeit und an jedem Ort eintreten könne und keinen spezifischen Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit habe. Dass das Erstgericht eine betriebsbedingte Erhöhung des Risikos eines Wespenstichs nicht feststellen konnte, führte allein nicht zur Verneinung eines Versicherungsfalls, so der OGH.

„Schließlich kann sich ein nach Paragraf 175 Absatz 2 ASVG versicherter Verkehrsunfall auf dem Weg zur Arbeitsstätte in gleicher Weise auch auf der Fahrt des Versicherten in den Urlaub ereignen, und niemand würde deshalb den Versicherungsschutz verneinen.“ Die Tätigkeit des Versicherten zur Zeit des Wespenstichs sei im Rahmen seines Arbeitsverhältnisses erfolgt, sodass er zum Unfallzeitpunkt grundsätzlich unter Versicherungsschutz gestanden habe.

Der Unfall sei auch „wesentliche Ursache … des Todes des Versicherten und nicht bloße Gelegenheitsursache“ gewesen.

Gesetzlicher Versicherungsschutz trotz Allergie

Die für die primäre Gesundheitsstörung – den anaphylaktischen Schock – und schließlich den Tod mitursächliche Allergie stehe dem Versicherungsschutz nicht entgegen. Eine krankhafte Veranlagung sei nämlich im Vergleich zum Unfall nur dann alleinige oder überragende Ursache, „wenn sie so leicht ansprechbar war, dass es zur Auslösung akuter Erscheinungen nicht besonderer, unersetzlicher äußerer Einwirkungen bedurfte, sondern jedes andere alltäglich vorkommende Ereignis zur selben Zeit die Erscheinungen (Schädigung) ausgelöst hätte …“.

Um die Allergie des Versicherten gegen Wespengift akut anzusprechen, hätte es aber der Induktion des Allergens durch den Stich einer Wespe bedurft. „Wie ein Hundebiss … ist im erörterten Zusammenhang aber auch ein Wespenstich kein alltägliches Ereignis.“

Übrigens: In vielen Familien- oder Privatrechtsschutz-Polizzen ist ein Sozialversicherungs-Rechtsschutz enthalten oder kann optional gegen einen kleinen Aufpreis mit eingeschlossen werden. Bei Streitigkeiten mit einem Sozialversicherungs-Träger übernimmt der Versicherer beispielsweise die Rechtsanwaltskosten sowie eventuell die Kosten der vom Gericht bestellten Sachverständigen, wenn der Versicherte sich eine entsprechende Leistungszusage beim Versicherer eingeholt hat.

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